Hamburger Abendblatt - Brennpunkt Grundschule

vom 28.03.2011

Pädagogen entwickeln Konzept für Betreuung von verhaltensauffälligen Kindern in Glinde, Oststeinbek und Barsbüttel

An seinem zweiten Schultag machte Peter im Unterricht ständig Geräusche, am dritten Schultag schlug der Erstklässler einem Mitschüler mit einem Stock auf den Kopf. In den folgenden Tagen musste seinetwegen der Sportunterricht abgebrochen werden, dann schlug er einem Mitschüler mit einem Schuh auf den Kopf, biss eine Lehrerin in den Arm und trat sie so heftig, dass sie stürzte. Schon nach kurzer Zeit durfte Peter, der täglich durch Spucken, Schlagen und wüste Beschimpfungen auffiel, nicht mehr auf den Schulhof gehen, weil viele Schüler Angst vor ihm hatten. Nach unzähligen verbalen und körperlichen Angriffen gegen Lehrer wurde der Junge vom Klassenunterricht ausgeschlossen.

Das Fallbeispiel von Peter ist dem Konzept „Durchgangsklasse für Erziehungshilfe" der Grundschulen in Glinde, Barsbüttel und Oststeinbek, dem SVS Kinderhaus und des Förderzentrums Wilhelm-Busch-Schule vorangestellt. Ziel des Projekts ist es, aggressive und verhaltensauffällige Grundschüler wieder in den Unterricht zu integrieren. Zahlen des Landesrechnungshofs belegen, dass 20 Prozent der Kinder an den allgemeinbildenden Schulen Probleme haben, weitere sieben Prozent sogar massive. „Wir wollen diesen Kindern die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, sagt Klaus Willenbücher Leiter der Glieder Grundschule Wiesenfeld. „Wenn ein Schüler ausgeschlossen wird, weil er nicht beschult werden kann, kann er auch keine sozialen Kontakte mehr knüpfen. Und dann wird es immer schlimmer."

Um diese Kinder möglichst früh aufzufangen, sollen sie in einer Durch- gangsklasse mit vier bis sechs Schülern von drei Pädagogen betreut werden. Je nach Förderbedarf, durchläuft ein Kind bis zu fünf Stufen: Zunächst wird es einzeln im Kinderhaus betreut, dann einzeln dort oder im Förderzentrum unterrichtet. In der dritten Stufe nimmt es am Kleingruppenunterricht im Förderzentrum oder an der Grundschule Wiesenfeld teil, es folgt stundenweise Unterricht an der Grundschule. Schließlich geht das Kind in Begleitung eines Pädagogen zurück an seine Stammschule, wo es sich idealerweise wieder in eine Klasse einfügen kann.

„Wenn ein Kind von Anfang an betreut wird, kann es Schule wieder positiv erleben", sagt Kai Krause-Rosbach. Leiter des Förderzentrums, der zur Erarbeitung des Konzepts vom Schulamt aufgefordert worden war. In den Prozess einbezogen werden auch die Eltern. Sie sollen die Aufnahme ihres Kindes in die Durchgangsklasse als Chance für die Familie wahrnehmen und nicht als Bestrafung. Über die Aufnahme entscheidet ein Gremium aus einem Grundschulleiter, einem Vertreter der Jugendhilfe sowie dem Leiter des Förderzentrums.

Die Durchgangsklasse soll auch die Schüler und Lehrer der Grundschen entlasten. „Es geht nicht um anstrengende Kinder, die mal die Klasse aufmischen, sondern um sehr massive Dinge. Oft werden diese Schüler auch gegenüber Lehrern gewalttätig", sagt Willenbücher. ,,Es ist nicht möglich, einer Klasse mit 25 Schülern so auf sie einzugehen, wie es nötig ist. Wir Lehrer sind damit schlichtweg überfordert.“

Im SVS Kinderhaus haben die Pädagogen Erfahrung mit der Betreuung von verhaltensauffälligen Kindern. Sie begleiten bereits Kinder, die teilweise monatelang nicht mehr in die Schule gegangen sind. Finanziert wird dies über die Jugendhilfe, allerdings nur für Einzelfälle. „Das Geld dafür könnte man in der Durchgangsklasse besser bündeln.

Man könnte mit der gleichen Summe mehr bewegen", sagt Matthias Richter, Leiter der Einrichtung. Der Bedarf habe zugenommen. „Immer mehr Kinder, haben in Regelschulen große Schwierigkeiten. Die Horte klagen zunehmend, dass sie mit einzelnen Kindern nicht zurechtkommen.

Neben einem Sonderpädagogen des Förderzentrums und einer sozialpädagogischen Fachkraft des Kinderhauses soll zu dem Team der Durchgangsklasse, das mit dem Jugendamt zusammenarbeiten will, auch ein Grundschullehrer gehören. Um diese Stelle zu finanzieren, seien alle beteiligten Grundschulen bereit, Stunden abzugeben, sagt Willenbücher. Das allein aber reiche nicht aus. Denn, so heißt es am Ende des Konzeptpapiers: „Der Erfolg der Maßnahme ist unmittelbar von den zur Verfügung gestellten personellen Ressourcen abhängig. Ohne eine über die notwendigen Lehrerwochenstunden hinausgehende sozialpädagogische Versorgung der Maßnahme können die nachhaltigen Ziele der Konzeption nicht erreicht werden." Zusätzliches Geld sei zum Beispiel notwendig, um den beteiligten Pädagogen eine Supervision zu ermöglichen betont Krause-Rosbach. ,,Wir hoffen auf einen kleinen Topf der Stadt", sagt er. Heute um 19 Uhr wird das Konzept im Kulturausschuss im Marcellin-Verbe-Haus (Markt 2) vorgestellt.

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